Freitag, der 13. März, 2020:
Im Theater.
Es ist Endprobenwoche.
Kleine Verschnaufpause auf der Terrasse.
Die Nachrichten über das Corona-Virus häufen sich.
Das Mehr-Theater hat schon bis August Kurzarbeit angemeldet, unsere freie Mitarbeiterin von dort steht schon mit uns auf der Terrasse, die News austauschen.
Ich sage zum Spaß: „Willst du nicht bei uns aushelfen? Hier ist noch massig zu tun bis zur Premiere und du hast doch jetzt Zeit.“
„Anna, ich glaube, wir haben jetzt auch bald ganz viel Zeit.“
– Meine Chefin.
Wie das Corona-Virus das Theaterleben stilllegte
Einige von euch wissen wahrscheinlich, dass „Aberglaube“ kein Fremdwort im Theater ist – spätestens beim Pfeifen auf der Bühne hört der Spaß auf (denn früher wurde mit Gaslampen beleuchtet, und ein Pfeifen konnte bedeuten, dass ebendieses Gas austritt, und das war sehr gefährlich). Doch Freitag, der 13., hatte bisher wenig Bedeutung innerhalb der Kulturstätten dieses Landes. Im März 2020 änderte sich das.
Zumindest bei uns im Opernloft.
In diesem Post geht es um den Tag, an dem sich so viel änderte, an dem Corona das Opernloft stilllegte, was dann passierte und was ich mit meiner neu gewonnen „Freiheit“ so anstelle.
Darum, was der Theater-Stopp mit uns als Personen machte, die Tag für Tag ins Theater gehen, um zu arbeiten, wird es im nächsten Post gehen.
Was passierte am Freitag, dem 13. März?
Da standen wir also, waren gerade mitten drin in unserer ersten Hauptprobe. Ich war eine der ersten, die wusste, dass es auf unbestimmte Zeit keine Vorstellungen geben würde. Ich wusste es, bevor die Probe zu Ende war.
Und nun saß ich da, eine dreiviertel Stunde lang, und fiel innerlich in ein ziemliches Loch. Ich drückte meine Lichtstimmungen durch, hörte den Arien zu und in meinem Kopf war nur ein Gedanke: „Ich kann jetzt nicht nach Hause gehen, ohne Arbeit, was mach ich denn dann? Ich kann nicht alleine zuhause sein.“
Das war mein kleiner Weltuntergang.
Nach der Probe dann die offizielle Bekanntmachung. Wir saßen in einer Runde und hörten uns an, dass keiner irgendetwas wusste, wir fühlten eine gewisse Enttäuschung, dass die Premiere, auf die wir nun schon seit Wochen hinarbeiteten, nun doch nicht stattfinden könnte.
Ängste mischten sich dazu, persönliche Ängste wie meine, aber auch ganz existenzielle: Wie können die Künstler:innen jetzt Geld verdienen (bei uns sind alle Künstler:innen freiberuflich angestellt)? Und wie kann ein Privattheater so eine Krise überstehen, wenn nicht einmal klar ist, wie schlimm die Situation nun wirklich ist?
Wir beschlossen, im Team eine kleine „Abschlussfeier“ zu machen, die Bar vorne im Foyer zu nutzen, Musik zu hören und zu tanzen. Keine:r von uns wollte mit so viel schlechtem Gefühl nach Hause gehen. Und am Ende musste das auch niemand.
Ich weiß noch, wie ich zu meiner Chefin sagte: „Was ist, wenn die Welt jetzt wirklich untergeht?“ (An dem Tag, als eine Grenze nach der anderen dichtmachte und eine Schreckensmeldung aus Italien nach der nächsten kam, glaubte ich wirklich irgendwie daran.)
Sie sagte: „Anna, die Welt wird nicht untergehen.“
Und die Welt ging nicht unter. Es ging wirklich irgendwie weiter.
Situation im Theater
Das passende Stichwort ist: Kurzarbeit.
Endlich mal Zeit, die alljährliche Elektroprüfung zu machen.
Endlich mal Zeit, Überstunden abzubummeln.
Endlich mal Zeit, alles zu machen, was außerhalb des normalen Vorstellungsbetriebs so stattfinden müsste.
Die Zweifel blieben. Die Ängste. Es wurden Spendenaktionen gestartet, eine coronagerechte Krimi-Oper geschrieben und Alternativpläne geschmiedet, theaterintern wie auch privat. Aber so richtig Spaß macht die Arbeit in einer Oper ohne Musik auch nicht. Mir zumindest nicht. Etwas fehlt. Etwas viel. Etwas sehr Existenzielles.
Was mache ich daraus?
Durch die Kurzarbeit hatte ich nun sehr viel mehr Freizeit als gewohnt. In Endprobenphasen arbeite ich gerne und besonders viel.
Intensiv, würden manche sagen. Mein Mitbewohner beschreibt es so: „Anna, warst du überhaupt zuhause die letzten Tage?“ (Natürlich war ich).
Ich mag es einfach, mich komplett in die Arbeit zu stürzen, denn manchmal komme ich an den Punkt, an dem alles wie in einem Flow ist und ich gar nicht mehr merke, dass ich arbeite, weil ich immer näher an ein Ziel komme, auf das ich stolz sein kann. Eine neue Produktion auf die Beine zu stellen mit einem Team, das ich mag, ist eine ganz tolle Sache.
Das wäre dann mal meine Arbeitsidentität. Ich weiß, wo ich hingehöre in diesem Team, ich kenne meine Fähigkeiten, ich kenne meine Ziele und meinen Aufgabenbereich. Und der fiel jetzt einfach mal weg.
Die ersten Tage war ich völlig überfordert – die Decke stürzte mir auf den Kopf, wie man so schön sagt. Am Ende habe ich mir einfach ein alternatives Projekt gesucht – diesen Blog.
Trotzdem fehlt mir die Musik.
Warum es wichtig ist, dass es weitergeht
Es gibt so viele Gründe, warum es bald weitergehen muss. Zum Glück tut es das ja auch bald wieder (wenn auch unter extremen Bedingungen). Da sind zum einen die Künstler:innen. Ich will gar nicht wissen, wie viele von ihnen sich gefragt haben, warum sie nicht doch etwas anderes gelernt haben.
Dann ist da das Gefühl der Normalität, das ohne Vorstellungen, Theater- oder Konzertbesuche und Veranstaltungen generell nicht aufkommen kann.
Und dann gibt es da die Gefühlsebene. Ein Zusammenhaltsgefühl. Nähe. Ich finde, in einem Theaterraum zu sitzen, eine Vorstellung zu schauen und sich ganz von der Geschichte gefangen nehmen zu lassen, ist ein sehr schönes, wohliges Gefühl.
Und wer kann während der Corona-Zeit nicht ein schönes, wohliges Gefühl gebrauchen?
Was sind meine Hoffnungen?
Ich weiß nicht, ob es euch aufgefallen ist. Das Thema Mental Health ist gerade in den ersten Wochen der Kontaktsperre sehr groß geworden. Wie geht es einem Menschen, der sich (vielleicht das erste Mal in seinem Leben) mit sich selbst beschäftigen muss, weil er kaum unter Menschen kommt und seinen Beruf nicht ausüben kann?
Wie geht es einem Menschen, der sowieso mit Einsamkeitsgefühlen und Depressionen kämpft, und dann alles an Alltagsstabilität verloren geht?
Und wie geht es uns allen, wenn sich plötzlich so vieles verändert?
Ich wünsche mir, dass dieses Bewusstsein die Krise überdauert und mehr Menschen lernen, dass auch sie eine psychische Gesundheit haben, auf die zu achten es wert ist.
Und vielleicht gibt es auch eine Chance, dass genau dieses Thema in den Spielplänen von morgen einen Platz finden wird.
Und hiermit verabschiede ich mich vorerst in die Klinik. Ich weiß nicht, wie regelmäßig ich dort schreiben kann. Mein eigener Weg wird nun in den nächsten Wochen entscheiden, worauf es sich zu konzentrieren gilt. Ihr könnt mir aber gerne auf Instagram unter @theater_im_kopf folgen, da wird es sicherlich das ein oder andere Lebenszeichen geben. 🙂
Danke.
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